In die Dunkelheit und zurück.
Die Steiermark ist weinbaulich kein unbekanntes Terroir mehr. Und so gibt es hier auch einige Weingeschichten. Eine davon handelt von mir. Mein Name: Gottfried Lamprecht. Mein Beruf: Ich bin Winzer im steirischen Vulkanland. Mein Betrieb: Der HERRENHOF liegt ca. eine halbe Stunde östlich von Graz. Aber genug der Vorrede, hier meine Geschichte.
Wir schreiben das Jahr 2006. Damals pflanzte ich die ersten Reben am Buchertberg. „Buchertberg“ ist der Name des Hanges, der Riede, welche sich direkt vor meinem Hof befindet. Weinbau gibt es hier seit Anfang des 18. Jahrhunderts. Damals wurde die Liegenschaft von den Chorherren des Stiftes von Vorau verwaltet und bewirtschaftet. Deshalb der Name HERRENHOF. Bauern, die im Dienste des Stiftes standen, mussten ihren Zehnten dem Stift abliefern. Hier ging es vor allem um Wein. Der Buchertberg ist für den Weinbau perfekt. Leichte kalkhaltige Sandsteinböden machten es den Weinhauern schon früher hier einfacher den Boden händisch zu bearbeiten.
Genau diese Umstände und das historische Wissen über den Hof interessierten mich als jungen Landwirt, wieder mit dem Weinbau auf diesem einzigartigen Hang zu beginnen. Allerdings war das anfangs nicht so leicht. Behörden machten mir einen Strich durch die Rechnung. Über Umwege gelang es mir trotzdem, den Grundstein für ein neues Weingut zu setzen, sprich Weingärten anzulegen.
Die Steiermark ist speziell. Vor allem klimatisch. Ich musste mich als Winzer sehr anstrengen, wollte ich Vitis Vinifera reif und gesund in den Keller bekommen. Vor allem, da ich von Anfang an auf die biologische Bewirtschaftung setzte. Der Klimawandel wird es in Zukunft leichter machen. Jedoch ganz so sicher sind wir uns auch in Fachkreisen noch nicht.
Nun gut, ich startete mit dem Weinbau. Einige Jahre dauerte die Aufbauarbeit der Weingärten, die Weine waren gut und einige Experimente wurden abgefüllt. Voll der Motivation arbeitete ich im August 2011 alleine im Weingarten und wollte das Gras mit einer Motorsense mähen. Während der Arbeit geschah das Unglück, welches mein Leben komplett verändern sollte. Ein Stein oder irgendetwas anderes, beschleunigt von der Motorsense, so wird es angenommen, flog in meine Richtung. Das Geschoss durchbrach das Schutzgitter des Forsthelmes. Und wie es so sein musste, mitten durchs Auge bis ins Gehirn. Mir wurde es schwarz. Ich sank zu Boden. Verhängte mich dabei in den vielen Drähten einer Rebzeile, konnte aber im beginnenden Delirium noch nach Hilfe rufen. Das war entscheidend.
Mein Vater, der sich 250 Meter weiter weg befand, hörte und fand mich. Dann musste es schnell gehen. Mit dem Rettungshubschrauber ins Klinikum Graz, Notaufnahme, Intensivstation. Ich war auf Standby geschaltet. Ich und mein Leben hingen an Maschinen. Nach drei Wochen war ich weitgehend stabil und konnte aus dem Koma geweckt werden. Das Projektil war noch immer im Hirn. Es war Teil meines Körpers geworden. Doch so einfach war es dann doch nicht, denn ein Blutgefäß im Gehirn machte einen Strich durch die Rechnung. Wieder eine Notsituation, die Schädeldecke musste geöffnet werden, damit sich das Gehirn ausdehnen konnte. Weitere drei Wochen im Tiefschlaf folgten.
Nach sechs Wochen im künstlichen Koma konnte ich aufgeweckt werden. Die Muskeln jedoch hatten sich weitgehend zurückgebildet. Ein Knochenmann war übrig geblieben. Der Körper hatte sich trotz künstlicher Ernährung weitgehend selbst aufgefressen. Viele Muskeln sind, wenn sie nicht verwendet werden, nicht lebensnotwendig. Also hat der Körper diese reduziert. Denn der Körper will die Organe schützen.
Langsam erwachte wieder Leben in mir, ich begann die erste Reha. Es war ein langwieriger Prozess, da alles neu gelernt werden musste. Anfangs war ich halbseitig gelähmt, es war schwierig wieder zu leben. Essen, trinken, sprechen und schlussendlich das Gehen musste nach und nach über Wochen hinweg wieder erlernt werden. Zuerst im Bett gefesselt, dann im Rollstuhl sitzend und schlussendlich wieder langsam gehend, konnte ich mich schließlich wieder allmählich selbst fortbewegen. Zum Glück, das muss man sagen, kannte ich alle Personen aus meinem Umfeld noch. Es hätte auch anders sein können.
Weil der Teufel nicht schläft, hatte ich in den langen Wochen und er Klinik sogar mit einem multiresistenten Krankenhauskeim Bekanntschaft gemacht. Aus heutiger Sicht habe ich das alles gar nicht so mitbekommen. Die Infektion führte wohl zu einer Lethargie – mir war eigentlich weitgehend alles egal. Aufgrund des Keims wurde ich in Quarantäne in ein eigenes Zimmer gebracht. Einige Wochen vollständiger Isolation folgten. Der Eintritt in mein Krankenzimmer war nur mit spezieller Kleidung möglich. An das, was um mich herum ablief, erinnere ich mich nicht mehr. Zum Glück gab es einen Fernseher im Raum. An den kann ich mich noch erinnern. Deshalb war es rückblickend nicht ganz so fade. Ausschließlich die Mitarbeiter im Krankenhaus konnten in Vollmontur zu mir gelangen. Aber auch das habe ich überstanden.
Ich sei ein „harter Knochen“, sagen meine Freunde und Familie. Zugestanden, ich hatte viel Glück im Unglück und eine ganze Menge Schutzengel obendrauf. Geholfen hat mir vor allem meine Willenskraft und die körperliche Fitness, die ich vor dem Unfall hatte. Ich war Marathonläufer. Zumindest habe Ich meine Läufe in recht respektabler Zeit absolviert. Dafür braucht man schon etwas Power.
Befreundete Winzer halfen in dieser schwierigen Zeit den 2012er Jahrgang zu keltern. Alle zogen an einem Strang. Nur so konnte es gelingen. Sogar der alte Schädelknochen konnte nach sechs Monaten, als der multiresistente Keim sich aus dem Kopf verabschiedet hatte, wieder eingesetzt werden. Die Ärzte, das Krankenhauspersonal, alle machten einen tollen Job. Nun war ich wieder fast vollständig zurück als junger Winzer.
Doch es gab weiterhin Probleme. Anfangs konnte ich nicht mit dem Traktor fahren. Vibrationen von Maschinen machten eine Fahrt unmöglich. Bei Mitfahren in Autos konnte ich deren Fahrverhalten in „gutes Fahrwerk“ oder „schlechtes Fahrwerk“ einteilen. So manche weit verbreitete Automarke wurde deshalb rigoros gemieden. Aber auch das ist heute vorbei und zum Glück Schnee von gestern.
Nach fünfzehn Jahren Aufbauarbeit konnte ich meinen Traum verwirklichen. Im Jahr 2021 hatte ich aus einem gemischten landwirtschaftlichen Betrieb wieder ein reines Weingut geschaffen. Die Aufbauarbeit hat sich gelohnt. Meine Naturweine werden aber nicht nur im Inland getrunken. Eigentlich sogar eher im Ausland. Von Kanada bis nach Schweden. Überall sind Kunden vom HERRENHOF zu finden.
Mein Fazit: Mein persönliches Erlebnis gleicht in der Tat einer turbulenten Achterbahnfahrt mit einem gehörigen Gruselfaktor. Es verdeutlicht, dass das Leben stets von Höhen und Tiefen geprägt ist. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, niemals aufzugeben und immer weiterzumachen. In solch herausfordernden Zeiten wird besonders deutlich, wie wichtig Familie und Freunde sind, die einem beistehen, wenn das Schicksal zuschlägt.
Autor der Version,
Gottfried Lamprecht
Dieser Artikel erschien leider nicht auf www.weinfeder-journal.de, da sich die Verantwortlichen dagegen entschieden haben. Aber das macht nichts. Ich veröffentliche den Artikel deshalb nur hier – und nur für Euch!